Fachkräfte- und Nachwuchsmangel im Handwerk

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Fachkräfte- und Nachwuchsmangel im Handwerk

Schon seit Längerem ist die Handwerksbranche in Deutschland von Segen und Fluch zugleich umgeben: Die Auftragsbücher sind prall gefüllt, viele Betriebe können sich ihre Aufträge sogar aussuchen. Doch dem steht auf der anderen Seite ein enormer Fachkräfte- und Nachwuchsmangel gegenüber. Rund 150.000 offene Stellen und 20.000 fehlende Auszubildende beklagt der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Doch woran liegt es, dass das Handwerk in der Berufsauswahl scheinbar so unattraktiv geworden ist?

Trotz guter Zukunftschancen sind die Bewerbungen rar

Die Handwerksbranche boomt – auch im Rhein-Main-Gebiet. Für die Betriebe ist die gute Wirtschaftslage natürlich erfreulich. Doch wenn die Auftragsbücher so voll sind, dass gerade kleine Betriebe kaum hinterherkommen und Kunden lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, kann aus dieser erfreulichen Lage schnell Frust auf beiden Seiten entstehen. Um diesem Problem Abhilfe zu schaffen, sind Betriebe kontinuierlich auf der Suche nach neuen Fach- und Nachwuchskräften.

Doch trotz der guten Zukunftschancen sind die Bewerbungen rar. Die Gründe für den Fachkräftemangel liegen nach Einschätzung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) in sinkenden Schulabgängerzahlen, der erhöhten Neigung zum Studium und damit einer Entwertung der dualen Ausbildung.

Der Trend zur Höherqualifizierung und die Angst vor sozialer Ablehnung

Tatsächlich gibt es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt einen Trend zur Höherqualifizierung. Immer mehr Jugendliche verlassen die Schule mit Abitur oder Fachabitur. Für eine Ausbildung, die nur einen Hauptschulabschluss voraussetzt, fühlen sie sich meist überqualifiziert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), die der Frage nachgeht, warum Betriebe und Jugendliche nicht mehr zueinanderfinden. Berufen mit höheren Anteilen an Hauptschulabsolventen wird häufiger ein niedrigeres Sozialprestige zugeschrieben. Hinzu kommen Vorbehalte gegenüber Berufen mit überwiegend körperlicher Tätigkeit. Früh aufstehen, hart arbeiten, wenig verdienen – das ist der Dreiklang, der Handwerksberufen offenbar noch immer anhaftet und viele abschreckt. Und als sei dies nicht genug, sind es häufig auch die Eltern, die ihren Kindern eine solche Ausbildung mit geringerer sozialer Wertschätzung ausreden.

Studien und Experten zufolge muss es daher wieder zu einer Aufwertung der dualen Ausbildung kommen und das Handwerk wieder attraktiv für junge Menschen gemacht werden. Ein Ansatz dafür war das Experiment „Rekordpraktikanten“: Fünf Monate lang reisten die Abiturienten Marvin und Charlotte im Auftrag des Zentralverbands des Deutschen Handwerks quer durch Deutschland und testeten 44 verschiedene Handwerksberufe. Verfolgen konnte man das Experiment in den sozialen Medien. Ziel war es, Gleichaltrigen einen Eindruck vom Handwerksalltag zu verschaffen, sie dafür zu begeistern und ebenfalls zu einem Praktikum zu motivieren. Ganz geglückt ist das Experiment allerdings nicht. Die beiden Tester selbst haben sich am Ende gegen eine Ausbildung im Handwerk entschieden und studieren nun beide. Sie hätten zwar viele Vorurteile gegenüber dem Handwerk abbauen können, einige hätten sich aber auch bestätigt. Charly sieht vor allem die körperlichen Nachteile für Frauen. Und auch Marvin konnte nicht seinen Traumberuf finden. Für ihn war die Zeit einfach zu kurz, um sich daraufhin für einen Beruf zu entscheiden, den man dann vielleicht ein Leben lang ausüben soll.

Viele wählen ein Studium aus Unentschlossenheit

Doch vielleicht ist genau dies einer der Gründe, warum sich viele Jugendliche gegen eine Ausbildung entscheiden. Nämlich aus Angst, die falsche Wahl zu treffen. Ein Studienfach kann man nach einem Semester ohne große Mühe und Rechtfertigungen wechseln. Ein Ausbildungsvertrag muss gekündigt werden, was im Lebenslauf nicht gut aussieht. Das kann auch Azubi Max Geithner nachvollziehen: „Viele wissen nach dem Abi nicht, was sie beruflich machen wollen, deswegen gehen sie erst einmal studieren.“ Auch er begann zunächst ein Chemiestudium, brach es aber wieder ab, weil ihm der Stoff zu kompliziert wurde. Nun absolviert der 24-Jährige eine Ausbildung zum Hörakustiker. Die Arbeit mache ihm Spaß, weil er oft in Kontakt mit Kunden sei und im Gegensatz zum Studium seine Erfolge hier viel unmittelbarer erfahre.

Berufsabitur soll Hochschulreife und Berufsausbildung vereinen

Damit Jugendliche bereits während der Schulzeit eine Vorstellung davon erhalten, was in den über 130 Ausbildungsberufen im Handwerk alles möglich ist, muss die Berufsorientierung ausgeweitet werden. Das sogenannte Berufsabitur soll Hochschulreife und Berufsausbildung vereinen. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen testen seit letztem Jahr das Berufsabitur, das der ZDH mit der Kultusministerkonferenz entwickelt hat. Hier machen Jugendliche in vier Jahren nicht nur das Abitur, sondern zugleich eine Ausbildung. 

Nach den Vorstellungen des Zentralverbands soll es zudem mehr duale Studiengänge geben, bei denen Auszubildende ihren Gesellenbrief und einen akademischen Abschluss erlangen können. Denn oft decken die erlangten Fähigkeiten während einer Ausbildung nicht mehr die tatsächlichen Anforderungen im heutigen Berufsleben ab. Dies ist besonders in technisch ausgeprägten Berufen der Fall, wo z.B. die Digitalisierung immer mehr technisches Wissen voraussetzt, das einem Ingenieur gleicht. Es müsse auch mehr triale Studiengänge geben, bei denen junge Menschen zusätzlich den Meisterbrief erlangen können.

Das Pilotprojekt „Berufsabitur“ ist ein Ansatz, Jugendliche frühzeitig an die Berufe heranzuführen und ihnen Hochschulreife und Praxisnähe zugleich zu ermöglichen. Auch Jugendliche, die einen geringeren Schulabschluss anstreben, sollten frühzeitig Einblick in die Berufe erhalten – durch mehrere Praktika und die Motivation anhand erfolgreicher Beispiele. Grundsätzlich sollte ihnen aber vermittelt werden, dass sie – ganz gleich, welches Bildungsniveau sie haben – damit keine Entscheidung fürs Leben treffen, sondern nur für den jetzigen Zeitpunkt. Eine Ausbildung bildet lediglich das Fundament für die berufliche Karriere. Danach können sie immer noch entscheiden, ob sie den Meister machen, ein Unternehmen gründen oder ein Studium anschließen.

Rekordpraktikanten

Alle Beiträge zum Fokusthema im Überblick

Was ist das BerufsAbitur?

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat die bildungspolitische Initiative "Höhere Berufsbildung" ins Leben gerufen, um chancenreiche berufliche Bildungs- und Karrierewege im Handwerk aufzuzeigen und weiterzuentwickeln.

Eine erste bundesweite Bildungsmarke zur weiteren Stärkung der Attraktivität der Berufsbildung soll das "BerufsAbitur" werden. Mit der Verknüpfung von Gesellenabschluss und allgemeiner Hochschulzugangsberechtigung sollen leistungsstarke Jugendliche für das Handwerk gewonnen werden.
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