Die neue Bundesregierung ist seit Dezember 2021 im Amt. Und die ersten 100 Tage hielten gleich mehrere Krisen bereit: Corona, Klimaschutz und Energiewende, Ukraine-Konflikt – es sind die großen Themen, die das Amtsgeschäft bestimmten. Auch wenn die akuten Herausforderungen gerade alles überschatten, wollen wir den Blick auf das langfristige Thema Klimaschutz lenken. Wo steht die neue Regierung? Welche Ziele verfolgt sie?
100 Tage Amtszeit – Ziele und erste Weichenstellungen der neuen Bundesregierung
Die neue Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz ist seit Mitte Dezember 2021 im Amt. Der Beginn ihrer Arbeit war vom Kampf gegen die Corona-Pandemie geprägt. Weitere Vorhaben der jungen Ampel-Koalition sind u.a. die Verschiebung der Schuldenbremse auf 2023, eine abgemilderte Rentenbesteuerung, ein stabiles Rentenniveau, Bürgergeld statt Grundsicherung (Hartz IV), der Ausbau der digitalen Infrastruktur, eine Chancenkarte für Jobsuchende aus dem Ausland sowie allgemein eine „sozial-ökologische Marktwirtschaft“. Einen besonderen Schwerpunkt der neuen Bundesregierung bildet der Klimaschutz.
Klimaschutzziele in den Sektoren
Der Klimaschutz ist eine zentrale Querschnittsaufgabe der Bundesregierung: Bis 2045 muss Deutschland klimaneutral sein, Eckpunkte dazu sind technische Innovationen, hohe Investitionen in den klimafreundlichen Wohnungsbau, Ausbau der Erneuerbaren Energien, Erweiterung des Schienennetzes, mehr E-Ladepunkte, Ausbau der Stromnetze uvm. Bis zum Jahr 2030 sollen die Erneuerbaren Energien in Deutschland 80 Prozent des Strombedarfs decken, also rund 600 TWh (zum Vergleich: 2020 erzeugte Deutschland 246 TWh aus erneuerbaren Energien).
Bis 2030 soll ebenfalls der Ausstieg aus der Kohle umgesetzt sein, die Wind- und Solarenergie dagegen stärker gefördert werden, beispielsweise mit einem Paket zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Die Verfahren sollen dann nur noch halb so lang dauern wie bisher. Für Windkraftanlagen will die neue Bundesregierung zwei Prozent der Landesfläche reservieren. Photovoltaik soll auf Dächern zu Regel und bei gewerblichen Neubauten gesetzlich vorgeschrieben werden. Und bis zum Ende des Jahrzehnts sollen in Deutschland mindestens 15 Millionen Elektroautos fahren. Außerdem hat sich die neue Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den Bahnverkehr zu stärken.
Eröffnungsbilanz Klimaschutz: Status quo und Weichenstellungen
Die vom Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vorgelegte Eröffnungsbilanz soll aufzeigen, wo Deutschland aktuell beim Klimaschutz steht. Dies betrifft die Klimaziele innerhalb der einzelnen Sektoren, den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie den Netzausbau. Das Fazit: Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen reichen in allen Bereichen nicht aus, Deutschland wird seine Klimaziele 2022 und 2023 nicht erreichen – so lautet der aktuelle Stand in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Hier einige Erkenntnisse und der Status quo im Schnelldurchlauf:
- Die CO2-Emissionen sind 2021 erneut gestiegen
- Die Ziele des neuen Klimaschutzgesetzes erfordern bis 2030 ein fast dreimal höheres Tempo der Emissionsminderung als bisher
- Im letzten Jahrzehnt sind die Emissionen durchschnittlich um nur 15 Millionen Tonnen pro Jahr gesunken; ab sofort müssen sie bis 2030 um 36 bis 41 Millionen Tonnen/Jahr sinken
- Der Ausbau der Windenergie an Land und auf See ist auf dem niedrigsten Stand der letzten zehn Jahre
- Die Fertigstellung der Stromnetze verzögert sich erneut um weitere Jahre
- Der Strombedarf für 2030 ist systematisch unterschätzt worden
- Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend
- Der Gebäudesektor hat 2021 zum zweiten Mal in Folge sein Sektor-Ziel verfehlt
- Fazit: In allen Sektoren werden die 2030-Ziele deutlich verfehlt, wenn nicht zusätzliche, schnell wirksame Klimamaßnahmen aufgelegt werden und greifen
Klimaschutz-Sofortprogramm
Die Bundesregierung ist bestrebt, sämtliche Rückstände aufzuholen. Sie hat damit begonnen, die wichtigsten Gesetze und Verordnungen dafür auf den Weg zu bringen. Ein erstes Klimaschutzpaket soll demnach bis Ende April 2022, ein weiteres im Sommer 2022 kommen. Bis Ende 2022 sollen alle Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen dieses Klimaschutz-Sofortprogramms abgeschlossen sein. Zu dem Sofortprogramm zählen u.a. folgende Maßnahmen:
EEG-Novelle
Das EEG soll den Weg ebnen, um bis 2030 die angestrebten 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken. Dafür erhöht Deutschland sukzessiv die Ausschreibungsmengen, Basis ist ein Bruttostromverbrauch von 715 TWh.
Solarbeschleunigungspaket
Ein Solarbeschleunigungspaket wird die Solarenergie voranbringen, u.a. durch eine Verbesserung beim Mieterstrom, höhere Ausschreibungsschwellen und die Öffnung der Flächenkulisse für Freiflächenanlagen bei Beachtung der Naturschutzkriterien. Ein weiteres Ziel ist, alle geeigneten Dachflächen künftig für die Solarenergie zu nutzen. So wird Solarenergie bei gewerblichen Neubauten zur Pflicht.
Wind-an-Land-Gesetz
Ein Wind-an-Land-Gesetz wird kurzfristig Flächenpotenziale für Windenergie erschließen und den Ausbau ankurbeln. Bei Drehfunkfeuern und Wetterradaren (4 bis 5 GW) und im militärischen Bereich (3 bis 4 GW) eröffnen sich große Flächenpotenziale. Das Wind-an-Land-Gesetz ermöglicht, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie zu reservieren. Windkraft kann im Einklang mit dem Artenschutz ausgebaut werden. Zugleich schafft das Maßnahmenpaket die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Senkung der Strompreise
Ab 2023 will die Bundesregierung die EEG-Umlage über den Bundeshaushalt finanzieren und den Endverbraucher so bei den Stromkosten entlasten. Das Ziel: erneuerbarer Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen, Absenken des Strompreises vor allem im Vergleich zu fossilen Energieträgern. Auf diese Weise will man auch Wärmepumpen und E-Mobilität attraktiver machen.
Klimaschutzverträge mit der Industrie
Für klimaneutrale Produktionsverfahren benötigt die Industrie einen verlässlichen Förder- und Investitionsrahmen. Dafür will die Bundesregierung die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen in Form von Klimaschutzdifferenzverträgen schaffen. Die Wirtschaftlichkeit klimaneutraler Produktionsverfahren stellt sich so früher ein, Kosten werden für Unternehmen planbarer.
Wärmestrategie
Geplant ist eine neue Gebäudestrategie zur Klimaneutralität, die auf zwei Säulen basiert: Zum einen sollen 50 Prozent der Wärme bis 2030 aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Die zweite Säule bildet den Ausbau der Energieeffizienz. Flächendeckende kommunale Wärmeplanung und Ausbau der Wärmenetze sind hier wichtige Stichpunkte. Hierfür wird die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) unmittelbar nach der beihilferechtlichen Genehmigung in Kraft gesetzt, ihre Finanzierung aufgestockt.
Gebäudestandards und -förderung
Das Gebäudeenergiegesetz wird zeitnah überarbeitet und schafft verlässliche Planungsgrundlagen für Investitionen. Das Ziel: Klimaneutralität 2045 und reduzierter Energiebedarf bei Neubauten und Gebäudesanierungen. Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Zeitgleich wird die Bundesförderung für effiziente Gebäude entsprechend angepasst.
Wasserstoffstrategie
Die Produktion von grünem Wasserstoff soll gegenüber den bisherigen Plänen verdoppelt werden. Die Nationale Wasserstoffstrategie wird hierfür noch in diesem Jahr überarbeitet, weitere Förderprogramme werden aufgelegt.